Leben im Fünfeinhalb-Minutentakt
Sonntag, der 7. Mai. Heute ist
Franzosenlauf. Na gut, heute sind
die 25km von Berlin. Mit dem
Franzosenlauf hat der heutige Lauf
nicht mehr viel gemein. Außer, daß
es immer noch 25 Kilometer sind und
daß das Ziel einen Einlauf in das
Olympiastadion verspricht. Der
einzige Grund, angemeldet zu sein.
Der Wetterbericht in den letzten
Tagen war auch schon ziemlich gut.
Natürlich bin ich wieder pünktlich
da. Ein wenig sehr pünktlich. Um
viertel zehn, viertel nach neun für
die Zugereisten. Aber das Wetter ist
schön, die Sonne wärmt, so daß man
sich ganz in Ruhe umziehen und das
Leben genießen kann. Die Sonne.
Vielleicht etwas viel Sonne.
Gemütlich trabe ich zum Startblock.
L3 für die Gemütlicheren. Der Block
ist noch völlig leer, ich könnte
mich direkt an die Grenze zu L2
aufstellen. Besser nicht, ich möchte
nicht beim Start von den Schnellen
mitgerissen werden, die ersten
Kilometer unter 5 Minuten laufen und
dann staunen, wie lang die Strecke
ist. Lieber freiwillig weiter nach
hinten. Der Plan ist, fünfeinhalb
Minuten auf den Kilometer zu laufen
und mal sehen, ob es klappt.
Hauptsache die Sonne spielt mit. Und
zwar nicht zu sehr.
Plötzlich Start der Skater. Was
sagt der Ansager da, in einer guten
halben Stunde sind sie wieder
zurück. Wozu laufen sie denn dann
erst los. Eine halbe Stunde.
Entspricht einer 6km-Runde. Haben
wir so was überhaupt bei den
Jellybears. Sie könnten sich
eigentlich doch etwas mehr
anstrengen. Vielleicht zwei Runden
laufen, oder so.
Plötzlich ist Ludwig hinter mir.
Wir diskutieren erst mal, was wir
heute beide versäumt haben.
Sonnencreme, Lichtschutzfaktor
irgendwas. Ludwig will alleine
laufen. Jedenfalls ohne Bekannte,
die ihn aus seinem Rhythmus reißen.
Kann ich auch verstehen. Mir geht es
nicht anders. Wir werden uns sowieso
direkt nach dem Start aus den Augen
verlieren.
Dann geht es los. Die ersten beiden
Kilometer im Schnitt 5:45. Habe ich
mich vielleicht doch zu weit hinten
eingeordnet. Durch die Fülle kann
ich keinen überholen. Was soll's,
die Strecke ist lang. Und wenn ich
unter 2:30 ankomme, ist das ok.
Das erste mal über den
Theodor-Heuß-Platz. Jetzt merkt man
die Sonne schon ganz gut. Ein
leichter Wind kühlt etwas. Geradeaus
durch den Tiergarten.
Schnurgeradeaus. Acht Kilometer
Gerade. Hier zeigt es sich schon.
Die Schlaueren laufen auf dem
Fußweg, da ist Schatten. Die andern
in der Sonne mitten auf der Straße.
Ich nehme an, sie werden es
irgendwann bereuen.
Im Tiergarten verteilen sich
überraschend viele Läufer und
Läuferinnen im Gelände. Ihnen
scheint es am Olympiastadion nicht
gefallen zu habe. Na gut, ich drücke
mich auch mal hinter ein Gebüsch und
gucke, ob ich ein Wildschwein
erlegen kann.
Das Brandenburger Tor. Direkt
dahinter eine Trommlerband, die eine
gute Phonstärke erzeugt. Ich habe
nichts dagegen, noch bin ich
halbwegs frisch. Später werden mich
solche gute gemeinten Zurufe, wie
"Es ist nicht mehr weit", so auf
halber Strecke, ziemlich nerven. Es
geht weiter gerade aus. Eben acht
Kilometer. Und die Sonne macht sich
immer mehr bemerkbar. Kein Wald und
wenig Schatten auf der Strecke. Zum
Glück immer bergab, das geht
leichter. Irgend etwas sagt mir, daß
wir später die ganze Strecke wieder
hoch laufen müssen.
Endlich geht es rechts ab. Genau an
der Ecke steht Christiane. Macht
einen Krawall, daß man sie einfach
nicht übersehen kann. Aber wie hat
sie mich in den Menschenmassen
entdeckt.
Weiter durch die Straßen von Mitte.
Schatten ist langsam Glückssache.
Lieber fünf Meter weiter laufen,
dafür aber 50 Meter im Schatten. Die
ersten Geher am Rand fallen auf.
Wollen sie bis zum Olympiastadion
wandern oder werden sie den
Besenwagen nehmen.
Dann plötzlich Kilometer 15. Hier
startet der FunRun über zehn
Kilometer. Jede Menge Leute in
hellblauen Laufhemden, die Stimmung
machen. Sie wissen, was wir hinter
uns und was wir noch vor uns haben.
Die Anfeuerung kommt von Herzen.
Irgendwo sehe ich kurz Christine.
Weiter an der Gedächtniskirche
vorbei. Die Glocken läuten. Extra
für die Läufer. Oder ist zufällig
gerade der Gottesdienst zu Ende.
Hätte der alte Herr da oben dann
aber gut eingerichtet. Der Kilometer
vergeht wie im Fluge.
Plötzlich steht Achim am Rand und
ruft. Ich hätte ich glatt übersehen.
Er mich zum Glück nicht.
Weiter über den Kurfürstendamm.
Langsam wird es hart. Die Sonne
brennt, der Asphalt reflektiert und
Schatten gibt es sowieso nicht.
Dafür viele Touristen, die staunen.
Zum Glück gibt es wenig der oben
genannten motivierenden Zurufe. Es
ist viel zu heiß.
Abbiegen in die Leibnizstraße. Was
wird uns auf der Kantstraße
erwarten. Außer dem Anstieg zum
Theodor-Heuß-Platz.
Sonne, Sonne, Sonne. Warum
zum Teufel laufen wir auf dieser
Seite. Drüben liegt alles im
Schatten. Da fahren aber die Autos.
Der Asphalt gleißt. Ich zähle die
Kilometer langsam rückwärts. Die
5:30 werden nicht ganz klappen. Bei
der Hitze bin ich froh, überhaupt
anzukommen. Dann bei Kilometer 20,
direkt im Anstieg, Horst, Ursel und
Ingo. Ursel reicht mir eine
Wasserflasche. Halb leer, muß wohl
vor mir schon wer vorbeigekommen
sein. Nein, besser halb voll, ich
bin doch Optimist. Danach nicht mehr
ganz. Die Flasche, halb voll. Über
den Optimisten können wir noch
diskutieren. Sie haben sich eine
schöne Stelle ausgesucht, an der
alle kämpfen. Aber ich war froh über
das Wasser.
Weiter über den sonnendurchglühten
Theodor-Heuß-Platz. Noch fünf
Kilometer, das müßte doch zu
schaffen sein. Notfalls ganz
langsam. Heerstraße. Erst runter und
dann wieder rauf. Immerhin ein wenig
Schatten auf den Seitenwegen. Warum
haben die Bäume nur noch so wenig
Blätter. Der letzte Anstieg, die
Angerburger Allee. Ich habe keine
Lust mehr und gehe jetzt auch mal
200 Meter. Eine letzte Wasserstelle.
Das Wasser mit der hohlen Hand über
den Kopf geschüttet.
Am Abzweig zum Olympiastadion steht
Birgit. Schade, heute will sie nicht
wie beim Marathon mich an die Hand
nehmen und ein paar Meter mit mir
zusammen gehen. Sie meint, es wäre
nicht mehr weit, ich könnte jetzt
auch durchlaufen. Wahrscheinlich hat
sie sogar recht.
Am Eingang der Katakomben steht
wieder eine Trommlergruppe und macht
einen Heidenlärm. Putscht noch mal
das letzte Adrenalin in den Läufern
hoch. Das Feld beschleunigt
deutlich. Die Ärmsten müssen heute
abend taub sein. Trotzdem Danke. Und
dann durch das Marathontor eine
Stadionrunde. Deshalb die ganze
Anstrengung. Und die erste Hälfte
ist Schatten. Ich lebe wieder auf.
Keine Freudentänze wie andere, die
vor mir sind und trotzdem noch
Energie haben. Einfach langsam durch
das Ziel und warten, bis eine junges
Mädchen mir eine Medaille um den
Hals hängt. Noch die Marathontreppe
hoch und am Olympischen Feuer
vorbei. Kommt die Gänsehaut vom
Schatten? Draußen scheint wieder die
Sonne.
Der Wetterbericht hat für den 7.Mai
Sonnenschein bei einer Temperatur
von 24 Grad gemeldet. Der Sommer
kann beginnen.
Dieter
PS: Der Erste hat 1:13:51 gebraucht.
Ich war 2:25:39 unterwegs und damit
2539. Es sind 4848 Läufer ins Ziel
gekommen. Aber das ist wohl alles
nebensächlich.
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