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Folgende Glosse habe ich im Tagesspiegel vom 26.9.2005
gefunden. Da sie mir besonders gut gefallen hat, möchte ich sie hier der
Nachwelt erhalten:
Rote Köpfe, flinke Füße, schlackernde Knie
Berlin ist ungewohnt still und schaut den Läufern zu
Manchmal erkennt einer am Rand einen im Pulk und ruft nach ihm, und der winkt dann. Woher nimmt der die
Energie? Manchmal hält einer aus dem Pulk und küßt eine, die am Rand steht. Ist
das Liebe? Manchmal riecht es nach Kaffee und Crepes, wo die ausgedörrten Läufer
vorbei kommen. Das ist Disziplin.
Während 40000 Menschen lange vor neun
Uhr früh energetisch in Alarmbereitschaft sind, scheint die verschlafene Stadt,
deren Straßen gleich durchlaufen werden sollten, zu sagen: Nehmt meine breiten
Straßen für euren Marathon, das schöne Wetter, aber macht keinen Krach. Und so
ist es eine fast andächtige Stille, die dem Trippeln der 80000 Füße vorangeht.
Ein Kind probiert, als noch kein Läufer in Kreuzberg ist und die Luft noch kühl,
auf der Straße seine Plastikknarre. Kkrrrrr, macht das Gerät, der einzige Ton.
Das Kind guckt erschrocken.
Es fahren kaum Autos am
Marathontag, es ist wie Ferien auf Hiddensee. Motorenlärm ist nur, wo die
Hubschrauber in der Luft stehen. Sie beobachten die schnellsten Läufer. Männer,
die es auf 20 Stundenkilometer bringen. Man hört sie nicht, ihre Sohlen berühren
den Boden nur kurz. An der Hasenheide wollen drei Jungs auf ihren Fahrrädern
neben der Spitzengruppe herfahren. Sie scheitern.
Die Kneipen an den großen
Straßen sind voll mit frühen Trinkern, aber die sind diesmal nicht allein. Es
wird viel Bier getrunken am Rande der Strecke. Als sei die Anstrengung der einen
Grund zur Ausschweifung der anderen.
Nach den Spitzenläufern,
die wie an einer Kette aufgereiht hintereinander her laufen, kommen als Traube
die Hobbyläufer. Zur Hälfte der Strecke, sie erreichen gerade Schöneberg, haben
sie einen Puls von 135, rote Köpfe, sie laufen auf staksenden Beinen oder
flinken Füßen, mit schwingenden Armen oder hochgezogenen Schultern. Was sie
hören: Trommel- oder Jazzgruppen, Plastik- und Holzrasseln, Kuhglocken, Löffel,
die auf Kochtöpfe hauen, Trillerpfeifen. Am Hohenzollerndamm sitzen vier Mädchen
am Straßenrand und essen Pommes. Sie haben ihren Mini-Marathon hinter sich. Bei
den Läufern hat hier bei Kilometer 31 die Fettstoffwechselverbrennung begonnen.
Die Beine wollen nicht mehr. Alles ist am Limit. Auf dem Ku'damm sagt ein
Musiker am Bass, er fühle sich wie auf der Zielgeraden, deshalb mache die Band
jetzt Pause.
Auch in den Seitenstraßen
ist Pause, steht die Zeit still. Menschen laufen über die Straßen, ohne zu
gucken, Autofahrer drehen Kreise, weil sie überall auf Absperrungen stoßen,
Radler fahren bei Rot und die Polizei läßt sie gewähren. An der Bülowstraße
steht ein Wachbatallion. In der Kneipe nebenan sagt ein Korntrinker, der
Marathon käme hier nicht lang. Seine Kumpel lallen: ach, Quatsch, und da kommen
die ersten Läufer. Der Korntrinker schweigt beleidigt.
Als die Hobbyläufer
Stunden später Richtung Potsdamer Platz traben, steht die Sonne hoch am Himmel.
Füße klatschen platt auf den Boden, für Bakterien wären die Läufer jetzt leichte
Beute, die Immunsysteme sind am Boden. Am Rand immer wieder Menschen in Turnzeug
mit weißen Knäueln in der Hand, den Startnummern. Sie sind herausgefallen aus
dem großen Ereignis. Nicht Athlet, nicht Zuschauer. In Kreuzberg fahren da schon
wieder die Autos. Der alte Lärm hat die Stadt übernommen.
Ariane
Bemmer
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